Dies ist literarisch das Beste, was ich in den letzten Jahren gelesen habe.
All die neue Realitätsliteratur, wo Autoren Wirklichkeiten abschreiben und Literatur behaupten, ist banal und langweilig im Vergleich zu "Aljoscha".
Erdmann erzählt das Unsagbare.

Vito von Eichborn, Verleger und Herausgeber







22.08.2021

Eine Liebesgeschichte, und was für eine, verpackt in eine Sprachreise der Gefühle












SPIEGEL ONLINE Forum
"Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"

15.10.2007




Edda Sörensen: 
 
Anspruchsvolle Texte hatten es wahrscheinlich schon immer schwer, zu ihrem Publikum zu finden, das es jedoch sicherlich in grosser Anzahl gibt. Deshalb bin ich froh, dass es dieses Forum gibt, das mir schon viele Anregungen geschenkt hat. Deshalb Anregung zurück:

"Aljoscha der Idiot" von Christian Erdmann
Edition BoD - Herausgeber Vito von Eichborn

Nach der Lektüre dieses Buches komme ich von Geistesblitzen geradezu illuminiert langsam wieder auf die Erde zurück, genau mit diesem (anfangs hielt ich die Anpreisung des Verlegers auf der Rückseite des Buches für ein wenig vermessen) versprochenen Lächeln im Gesicht. Glücklich, ja, denn mit blankpolierten Augen konnte ich wie mit einem Präzisions-Fernglas Einblick in faszinierend inspirierende Gedankenwelten gewinnen, die sich wie schimmernd feiner Galaxienstaub in weiten Kreisen um die Liebe drehen, bis sie am Ende, waagrecht wie senkrecht Gewissheit schaffend, auf sie treffen.

Erstaunlich, dass dieser Dichter noch nicht "entdeckt" wurde. Ich kann dieses Buch nur wärmstens für den Gabentisch Feingeistiger empfehlen. 





kurzundknapp: 
 
Da kommt uns allen aber etwas schwer bekannt vor... 





Edda Sörensen: 
 
Das versteh ich jetzt aber ganz und gar nicht: Was ich da geschrieben habe, ist von mir.
Wo wollen Sie denn das gelesen haben? Bitte um Aufklärung. 





Niobe: 
 
Das Buch von Herrn Erdmann wurde hier schon sehr sehr gelobt.
Ich habe es auch fast durch. ;-)
(Ungefähr 1,5 Jahre her. Ich hab noch die Erstauflage von ihm, da war er noch nicht beim Eichborn-Verlag). Aber Sie haben Recht, man kann es nicht oft genug erwähnen! 





Monika Cate: 
 
Ich habe das Buch vor über einem Jahr gelesen, dann ein halbes Jahr später zum 2. Mal. Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Sie beschreiben sehr schön, was passieren kann, wenn man sich auf dieses Buch einläßt. Und es läßt einen auch nicht wieder los, nachdem man es aus den Händen gelegt hat. Es hat meine eigene künstlerische Arbeit beeinflußt, hat meinen Horizont erweitert, hat mich sensibilisiert. Ein Glücksfall. 





Edda Sörensen: 
 
Vielen Dank Niobe und Monika
 
War ganz erschreckt über die "kurzknappe" Dusche :o) Umsomehr freu ich mich über Eure Antwort und darüber, dass
a: dieses Buch also doch bekannter ist, als ich annahm und
b: Ihr Beide genauso beeindruckt seid. 






Polymorph:
"Aljoscha der Idiot" habe ich jetzt auch auf meine Einkaufsliste gesetzt, es wird aber noch ein Weilchen dauern, bis ich dazu komme... z.Z. lese ich zum wiederholten Male Bonaventuras "Nachtwachen" - ein schriftgewordener Albtraum, so düster, ekstatisch und maßlos...!!





16.10.2007 




kurzundknapp: 
 
Das sollte keine "Dusche" sein, bitte vielmals um Pardon. Ich wollte nur meinen, daß man den guten Aljoscha hier so oder so kennt. (Und lancieren tut der auch nix!) 





Edda Sörensen: 
 
Das kann jedem mal passieren - also, Schwamm drüber über die Dusche :o)
Es freut mich, dass man Christian Erdmann hier bereits kennt. Bei meinen sporadischen Besuchen dieses Forums, immerhin schon 650 Seiten lang, hatte ich bisher nichts dergleichen entdeckt. 





hans-werner degen: 
 
Da mir hier immer wieder die Postmoderne um die Ohren geschlagen wurde:
Ich habs versucht und versucht und versucht... Was mir auffiel... jeder zitiert ununterbrochen sich oder andere; verweist sinnlos auf sich und andere... Das lässt mir die Vermutung kommen: Die geben nur mit ihrem literarischen Wissen an. 





Monika Cate: 
 
So wie Sie? ;-) 





hans-werner degen: 
 
Ich schreib ja nicht... ausser für meine Allerliebste ab und zu ein Gedicht... und eh ich es ihr schenke guck ich noch überall ob die Worte wirklich von mir stammen. 





Monika Cate: 
 
Die Worte stammen nie von Ihnen. Die haben Sie gelernt. Wenn Sie eine besondere Aneinanderreihung von Worten meinen, die eine spezielle Aussage und Qualität vermitteln, wie bei einem Zitat, das, wenn es kunstvoll in den Handlungsablauf eingeflochten ist, dem Leser diese Qualität dann direkt zugänglich macht und das Gedankengebäude somit erweitert, ist das in meinen Augen ein ganz ausgezeichnetes Stilmittel.

Im Falle von Christian Erdmann, den ich da gern als Beispiel heranholen möchte, werden die verwendeten Zitate mit einer unübersehbaren Liebe und gleichzeitig als Tribut an diese Denker und Künstler eingesetzt, und das so virtuos, daß es einem manchmal den Atem verschlägt. Denn sehen Sie, würde er (um bei diesem Beispiel zu bleiben) das nur tun, um anzugeben, würde der Leser das sofort merken und das Buch gelangweilt beiseite legen. Doch es funktioniert genau andersherum, er baut die Zitate als eine neue Ebene ein, die sich bezieht auf alle anderen Ebenen, die er beschreibt, und drückt damit gleichzeitig aus, dass alles das, was jemand schon mal gedacht und aufgeschrieben und uns zur Verfügung gestellt hat, ja sowieso schon als Qualität sich verselbständigt hat. Es ist eine Farbe im Feuerwerk der beschriebenen Zustände. 
 
Also nur zu, lassen Sie sich doch einfach mal ein und legen Ihre mühsam zurechtgezimmerten Kriterien, nach denen Sie schnell oder langsam oder überhaupt nicht lesen, einmal beiseite. Vielleicht wundern Sie sich. Mit Querlesen kommen Sie diesem Roman z. B. nicht auf den Grund.

Darüberhinaus machen die Zitate und Referenzen Lust auf Viel-Mehr-Lesen (es ist eben alles mit allem verbunden), aber da muss man sich bei Ihnen, Herr Degen, ja keine Sorgen machen.

Somit ist er, neben vielem anderen, auch noch ein "Bildungs"Roman :) 





Edda Sörensen: 
 
Ihre beiden Beiträge, liebe Monika, sind, vom Inhalt wie von der Formulierung her, einfach virtuos, besser kann man es wirklich nicht beschreiben





paparatzi: 
 
Zitat von Monika Cate: 
Ich habe das Buch vor über einem Jahr gelesen, dann ein halbes Jahr später zum 2. Mal. Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. 

dito
Kam nur durch Zufall hier (!) im SPON auf das Buch. Völlig bescheuert finde ich, dass so eine Perle im Autorenverlag auftauchen muss und keinen renommierten Verlag (Verzeihung bod) finden konnte.

Aljoscha der Idiot

Aljoscha berauscht sich am unablässig strahlenden Einfluss aller Wesen und Dinge aufeinander. So wie Kinder ihre Nasen am Fenster plattdrücken, ständig fragen: "was ist das?", fragt er nach dem Sinn. Diese Eigenschaft, die wir Erwachsene in unserem gelernten System der Superchunks verloren, höchstens noch im Urlaub erleben können, ist der Klebstoff dieses Romans. Eine Liebesgeschichte, und was für eine, verpackt in eine Sprachreise der Gefühle.

Im wortgewaltigen Roman wimmelt es nur so von Hintergründen, Abgründen, Anspielungen, philosophischen und religiösen Exkursen, Musik, und Perlen der Sprache wie: "Achttausender des Trübsinns", "Qualitätsarbeit von Meister Verfall", "Morpheus' Schlaf letzte Nacht war nur zweite Wahl", "Institution Kirche ist ein bisschen Bürgerwehr im Unerforschlichen".

"Ich weiß nicht, ob ich je geliebt habe", spricht Aljoscha zu seiner Freundin, die bereits sein Abrücken ahnt. "Nicht mehr alles wissen wollen vom anderen, beginnt da nicht die Lüge?" Ja, wie wahr! Die zwei Groschen Verstand, die Aljoscha im Laufe seiner Reise zu verlieren ahnt, aufgerieben zwischen der Frau, zu der er sich hingezogen fühlt und nur blicken kann, und der Freundin, die er nicht unglücklich machen möchte.

"Felsbröckelkunde, Gestaltwandlung und Gegenspionage" sind nach Aljoscha Nebenfächer des Studiums der Liebe. Was ist Liebe? "Zwei Menschen mit Schlüsseln für dieselbe Tür, Seelen die sich im Korridor begegnen und dieselbe Zukunft im Gedächtnis haben". Und wie kann man den Gegenschlüssel erkennen? Aljoscha beantwortet dies mit einem todsicheren Code: nur bestimmte Menschen sehen das Zeichen, psychoenergetisch aufgeladene Spuren, die der Andere hinterlässt. Bestimmung? Ja! Es wartet jemand auf dich, der dich will, mit einem versichernden Lächeln alles geschehen lässt, und es geschieht ohne Anstrengung. Ebenso wie das erste Wort von IHR: "Hallo", ganz einfach.

Vito von Eichborn schreibt in seinem Vorwort: "ich schwöre: wer dies liest, der bekommt einen glücklichen Ausdruck im Gesicht". Ja, und wie habe ich gelacht, nicht nur über den "Granatsplitter im Kopf". Oh wie wahr, Liebe scheint eine Form der Geisteskrankheit zu sein.

Auf das Buch "Aljoscha der Idiot" kam ich nur zufälligerweise. Aljoscha würde dies nicht einfach hinnehmen und nicht von Zufall reden. Wie dem auch sei, der Roman steht bei mir direkt neben dem Solschenizyn und Voltaire im Bücherregal ganz vorne, mit dem Prädikat "besonders wertvoll".















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