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"Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"
"Literatur - Was lohnt es noch, zu lesen?"
15.10.2007
Edda Sörensen:
Anspruchsvolle Texte hatten es wahrscheinlich schon immer schwer, zu ihrem
Publikum zu finden, das es jedoch sicherlich in grosser Anzahl gibt. Deshalb
bin ich froh, dass es dieses Forum gibt, das mir schon viele Anregungen
geschenkt hat. Deshalb Anregung zurück:
"Aljoscha der Idiot" von Christian Erdmann
Edition BoD - Herausgeber Vito von Eichborn
Nach der Lektüre dieses Buches komme ich von Geistesblitzen geradezu
illuminiert langsam wieder auf die Erde zurück, genau mit diesem (anfangs hielt
ich die Anpreisung des Verlegers auf der Rückseite des Buches für ein wenig
vermessen) versprochenen Lächeln im Gesicht. Glücklich, ja, denn mit
blankpolierten Augen konnte ich wie mit einem Präzisions-Fernglas Einblick in
faszinierend inspirierende Gedankenwelten gewinnen, die sich wie schimmernd
feiner Galaxienstaub in weiten Kreisen um die Liebe drehen, bis sie am Ende,
waagrecht wie senkrecht Gewissheit schaffend, auf sie treffen.
Erstaunlich, dass dieser Dichter noch nicht "entdeckt" wurde. Ich
kann dieses Buch nur wärmstens für den Gabentisch Feingeistiger empfehlen.
kurzundknapp:
Da kommt uns allen aber etwas schwer bekannt vor...
Edda Sörensen:
Das versteh ich jetzt aber ganz und gar nicht: Was ich da geschrieben habe,
ist von mir.
Wo wollen Sie denn das gelesen haben? Bitte um Aufklärung.
Niobe:
Das Buch von Herrn Erdmann wurde hier schon sehr sehr gelobt.
Ich habe es auch fast durch. ;-)
(Ungefähr 1,5 Jahre her. Ich hab noch die Erstauflage von ihm, da war er
noch nicht beim Eichborn-Verlag). Aber Sie haben Recht, man kann es nicht oft
genug erwähnen!
Monika Cate:
Ich habe das Buch vor über einem Jahr gelesen, dann ein halbes Jahr später
zum 2. Mal. Das wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Sie beschreiben sehr
schön, was passieren kann, wenn man sich auf dieses Buch einläßt. Und es läßt
einen auch nicht wieder los, nachdem man es aus den Händen gelegt hat. Es hat
meine eigene künstlerische Arbeit beeinflußt, hat meinen Horizont erweitert,
hat mich sensibilisiert. Ein Glücksfall.
Edda Sörensen:
Vielen Dank Niobe und Monika
War ganz erschreckt über die "kurzknappe" Dusche :o) Umsomehr
freu ich mich über Eure Antwort und darüber, dass
a: dieses Buch also doch bekannter ist, als ich annahm und
b: Ihr Beide genauso beeindruckt seid.
Polymorph:
"Aljoscha der Idiot" habe ich jetzt auch auf meine Einkaufsliste
gesetzt, es wird aber noch ein Weilchen dauern, bis ich dazu komme... z.Z. lese
ich zum wiederholten Male Bonaventuras "Nachtwachen" - ein
schriftgewordener Albtraum, so düster, ekstatisch und maßlos...!!
16.10.2007
kurzundknapp:
Das sollte keine "Dusche" sein, bitte vielmals um Pardon. Ich
wollte nur meinen, daß man den guten Aljoscha hier so oder so kennt. (Und
lancieren tut der auch nix!)
Edda Sörensen:
Das kann jedem mal passieren - also, Schwamm drüber über die Dusche :o)
Es freut mich, dass man Christian Erdmann hier bereits kennt. Bei meinen
sporadischen Besuchen dieses Forums, immerhin schon 650 Seiten lang, hatte ich
bisher nichts dergleichen entdeckt.
hans-werner degen:
Da mir hier immer wieder die Postmoderne um die Ohren geschlagen wurde:
Ich habs versucht und versucht und versucht... Was mir auffiel... jeder zitiert
ununterbrochen sich oder andere; verweist sinnlos auf sich und andere... Das
lässt mir die Vermutung kommen: Die geben nur
mit ihrem literarischen Wissen an.
Monika Cate:
So wie Sie? ;-)
hans-werner degen:
Ich schreib ja nicht... ausser für meine Allerliebste ab und zu ein
Gedicht... und eh ich es ihr schenke guck ich noch überall ob die Worte
wirklich von mir stammen.
Monika Cate:
Die Worte stammen nie von Ihnen. Die haben Sie gelernt. Wenn Sie eine
besondere Aneinanderreihung von Worten meinen, die eine spezielle Aussage und
Qualität vermitteln, wie bei einem Zitat, das, wenn es kunstvoll in den
Handlungsablauf eingeflochten ist, dem Leser diese Qualität dann direkt
zugänglich macht und das Gedankengebäude somit erweitert, ist das in meinen Augen
ein ganz ausgezeichnetes Stilmittel.
Im Falle von Christian Erdmann, den ich da gern als Beispiel heranholen
möchte, werden die verwendeten Zitate mit einer unübersehbaren Liebe
und gleichzeitig als Tribut an diese Denker und Künstler eingesetzt, und das so
virtuos, daß es einem manchmal den Atem verschlägt. Denn sehen Sie, würde er
(um bei diesem Beispiel zu bleiben) das nur tun, um anzugeben, würde der Leser
das sofort merken und das Buch gelangweilt beiseite legen. Doch es funktioniert
genau andersherum, er baut die Zitate als eine neue Ebene ein, die sich bezieht
auf alle anderen Ebenen, die er beschreibt, und drückt damit gleichzeitig aus,
dass alles das, was jemand schon mal gedacht und aufgeschrieben und uns zur
Verfügung gestellt hat, ja sowieso schon als Qualität sich verselbständigt hat.
Es ist eine Farbe im Feuerwerk der beschriebenen Zustände.
Also nur zu, lassen
Sie sich doch einfach mal ein und legen Ihre mühsam zurechtgezimmerten
Kriterien, nach denen Sie schnell oder langsam oder überhaupt nicht lesen,
einmal beiseite. Vielleicht wundern Sie sich. Mit Querlesen kommen Sie diesem
Roman z. B. nicht auf den Grund.
Darüberhinaus machen die Zitate und Referenzen Lust auf Viel-Mehr-Lesen (es
ist eben alles mit allem verbunden), aber da muss man sich bei Ihnen, Herr
Degen, ja keine Sorgen machen.
Somit ist er, neben vielem anderen, auch noch ein "Bildungs"Roman
:)
Edda Sörensen:
Ihre beiden Beiträge, liebe Monika, sind, vom Inhalt wie von der
Formulierung her, einfach virtuos, besser kann man es wirklich nicht
beschreiben
paparatzi:
Zitat von Monika Cate:
Ich habe das Buch vor über
einem Jahr gelesen, dann ein halbes Jahr später zum 2. Mal. Das wird nicht das
letzte Mal gewesen sein.
dito
Kam nur durch Zufall hier (!) im SPON auf das
Buch. Völlig bescheuert finde ich, dass so eine Perle im Autorenverlag
auftauchen muss und keinen renommierten Verlag (Verzeihung bod) finden konnte.
Aljoscha der Idiot
Aljoscha berauscht sich am unablässig strahlenden Einfluss aller Wesen und
Dinge aufeinander. So wie Kinder ihre Nasen am Fenster plattdrücken, ständig
fragen: "was ist das?", fragt er nach dem Sinn. Diese Eigenschaft,
die wir Erwachsene in unserem gelernten System der Superchunks verloren,
höchstens noch im Urlaub erleben können, ist der Klebstoff dieses Romans. Eine
Liebesgeschichte, und was für eine, verpackt in eine Sprachreise der Gefühle.
Im wortgewaltigen Roman wimmelt es nur so von Hintergründen, Abgründen,
Anspielungen, philosophischen und religiösen Exkursen, Musik, und Perlen der
Sprache wie: "Achttausender des Trübsinns", "Qualitätsarbeit von
Meister Verfall", "Morpheus' Schlaf letzte Nacht war nur zweite
Wahl", "Institution Kirche ist ein bisschen Bürgerwehr im
Unerforschlichen".
"Ich weiß nicht, ob ich je geliebt habe", spricht Aljoscha zu
seiner Freundin, die bereits sein Abrücken ahnt. "Nicht mehr alles wissen
wollen vom anderen, beginnt da nicht die Lüge?" Ja, wie wahr! Die zwei
Groschen Verstand, die Aljoscha im Laufe seiner Reise zu verlieren ahnt,
aufgerieben zwischen der Frau, zu der er sich hingezogen fühlt und nur blicken
kann, und der Freundin, die er nicht unglücklich machen möchte.
"Felsbröckelkunde, Gestaltwandlung und Gegenspionage" sind nach
Aljoscha Nebenfächer des Studiums der Liebe. Was ist Liebe? "Zwei Menschen
mit Schlüsseln für dieselbe Tür, Seelen die sich im Korridor begegnen und dieselbe
Zukunft im Gedächtnis haben". Und wie kann man den Gegenschlüssel
erkennen? Aljoscha beantwortet dies mit einem todsicheren Code: nur bestimmte
Menschen sehen das Zeichen, psychoenergetisch aufgeladene Spuren, die der
Andere hinterlässt. Bestimmung? Ja! Es wartet jemand auf dich, der dich will,
mit einem versichernden Lächeln alles geschehen lässt, und es geschieht ohne
Anstrengung. Ebenso wie das erste Wort von IHR: "Hallo", ganz
einfach.
Vito von Eichborn schreibt in seinem Vorwort: "ich schwöre: wer dies
liest, der bekommt einen glücklichen Ausdruck im Gesicht". Ja, und wie
habe ich gelacht, nicht nur über den "Granatsplitter im Kopf". Oh wie
wahr, Liebe scheint eine Form der Geisteskrankheit zu sein.
Auf das Buch "Aljoscha der Idiot" kam ich nur zufälligerweise. Aljoscha würde dies nicht einfach hinnehmen und nicht von Zufall reden. Wie dem auch sei, der Roman steht bei mir direkt neben dem Solschenizyn und Voltaire im Bücherregal ganz vorne, mit dem Prädikat "besonders wertvoll".
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